Gefangen im Wald - über den Wanderweg der keiner war und das Überschreiten der Grenze nach Italien
Galileo Gallilei, Michelangelo, Leonardo Da Vinci, Dante, Donatello… irgendwie alles Namen die man schon mal gehört hat, aber müssen zugeben nur bruchstückhaft zu wissen für was die Herren so bekannt sind und das wir echte Kunstkulturbanausen sind. Wir bemühen uns aber um Verbesserung und tauchen gerade ein in die Leonardo Davinchies Davidskulpturkopien und hunderten von Touristen im wirklich beeindruckenden Florenz. Nach ein paar Stationen in Italien sind wir nun endlich mal dabei den Bericht der vergangenen Wochen in ganze Sätze zu giessen,… hier kommt er also.
Von Airolo aus ging es den nächsten Tag dann nach Faido. Wir wollten uns dort mit Vera, Stefan und den Kids aus Chemnitz treffen. Die beiden hatten ihren Urlaub in Italien verbracht und haben sich extra Zeit genommen, um uns ein zweites Mal zu treffen.
Auf dem Weg sind wir dann immer entlang des Tals Vale Leventina in Richtung Süden gelaufen. Dabei gab es dann nochmals den ein oder anderen anstrengenden Auf und Abstieg zu meistern. Irgendwie war bei mir im Gedächtnis hängen geblieben, dass es südlich des Gotthards keine Zecken mehr gibt und wir sind völlig frei von diesen Gedanken und ohne Zeckenspray durchs Dickicht gewandert. Bei einer kleine Pause dann wurde uns das Gegenteil bewiesen. Wir haben fünf Zecken von Resi´s Hosen und mindestens genausoviel von meinen abgesammelt.
In Faido angekommen war unsere erste Adresse die Postfiliale. Dorthin hatten wir zwei Pakete unserer Sachen geschickt um Gewicht zu sparen. Die Methode Postlagernd Klamotten oder anderes Gepäck vorauszuschicken hat sich als Gold wert herausgestellt und wir haben es mehrfach ohne Probleme gemacht. Danke nochmals für den Tipp Stephan ;) Nun also in Faido angekommen ist nur eines der Pakete da, ausgerechnet das Paket mit Laptop und restlichen Technikkram war verschollen.… nach einigem Hin und Her hat uns dann die Postdame angeboten das verschollenen Paket nach Auftauchen nach Bellinzona weiter zu leiten. Hier stehen wir dann auch vor unserer ersten Sprachbarriere. Englisch geht gar nicht und Deutsch nur ausgesprochen schwerlich. Italienisch ist hier die einzige Option. Naja irgendwie ging dann doch alles und wir konnten beruhigt unser Zeit mit Vera, Stefan und den Kids verbringen.
Von Faido aus ging es dann weiter nach Süden und wir haben zum ersten Mal etwas geschummelt. Unsere lieben Schweizer Freunde Monika und Sandro und deren Kinder haben sich auch nochmals Zeit genommen uns zu besuchen und wir haben ein paar schöne Tage in Claro bei Bianca verbracht. Dorthin sind wir dann etwa zehn Kilometer mit dem Bus gefahren. Unsere Ausrede ist, dass es ja eh nur bergab gegangen wäre ;)
Von dort ging es dann weiter nach Bellinzona über Agarone zum Lago Maggiore. Ein riesiger See, der sich bis nach Italien erstreckt. Dort haben wir uns dann auf einem der unzähligen Campingplätze in Tenero für einige Tage niedergelassen und die schönen Städte Locarno und Ascona besucht. Wie schön war es dort,… jeden Morgen aus dem Zelt raus direkt in den glasklaren See, wunderbar! Ausserdem haben wir einen Trip in das malerische Verzasca Tal unternommen. Das ist eines der wohl bekannteste touristischen Ziele der Schweiz und gilt als das schönste Schweizer Tal. Der gleichnamige Fluss Verzasca hat eine unfassbar türkisblau schimmernde Farbe und bahnt sich seinen wenig durch weich abgeschliffene Felsspalten. Auch wenn das Wetter zum Baden eingeladen hat sind wir nur mit den Füssen im superkalten Fluss herumgetappt. Aber seht selbst in den Bildern.
Von Tenero aus sollte es nun noch weiter gehen. Wir hatten noch ein paar Etappen bis nach Italien vor uns. Zunächst wollten wir den Rat von Sandro befolgen und auf dem Bergkamm von Monte Tamaro bis nach Monte Lema entlang der italienischen Grenze und Lago Maggiore auf der Westseite und Lago di Lugano auf der Ostseite bis nach Lugano wandern. Also hiess es nochmals 2000 meter Aufstieg. Nun gab es mehrere Aufstiegsmöglichkeiten. Wir haben mal die falsche gewählt. In der Touristeninformation hatten wir sogar nachgefragt und den Weg über Quartino empfohlen bekommen. Also sind wir früh morgens gestartet mit dem Ziel Monte Tamaro via Quartino. Am Anfang lief alles wie geplant und wir haben den Aufstieg in Quartino begonnen. Nach etwa 300 Höhenmetern sind wir dann etwas stutzig geworden. Die Wegweise haben unser Ziel nicht angezeigt. Laut Karte sind wir aber richtig gewesen. Also einfach mal weiterlaufen. An einem Abzweig gab es dann ein rotes Schild mit italienisch irgendwas… was kann das schon sein haben wir uns gedacht und sind einfach mal weiter gelaufen,…
Wir sind also entlang des vermuteten Weges immer weiter aufgestiegen. Der Weg veränderte sich auch stetig und wurde immer schlechter. Gefühlt waren alle Wege vorher wie mit dem Besen gekehrt und das Laub nicht so tief. Vor allem aber waren es die Kastanien auf dem Boden die den Weg so beschwerlich machten. Die Kastanienhülsen sind im Tessin mit den viel feineren Nadeln bestückt, als wir das kennen. Diese bohren sich durch die Schuhe in die Füsse. Der Boden war praktisch komplett damit bedeckt. Dann ist Resi auch noch einmal komplett in kurzen Hosen gekleidet in die Kastanien gefallen. Ohjeee,…dann hiess es erstmal Stacheln rausziehen. Der Weg war irgendwann auch nur noch marginal erkennbar und wir wussten durch die Kastanienmienenfelder zurück war keine Option, da der Abstieg viel zu steil gewesen wäre. Resi Nervenzusammenbruch Nummer eins… Dann ein Lichtblick, eine Hütte irgendwo auf ca 500 Metern Höhe. Hier war alles verlassen. Aber immerhin wir wussten, wo eine Hütte ist, da gibt es auch einen Weg.
An der Hütte haben wir dann erstmal unsere Wunden geleckt und uns von den vielen Nadeln sowie Zecken befreit. Nach einer kleinen Stärkung haben wir uns dann die Karte schön geredet und sind weiter entlang des vermeintlichen Weges gelaufen immer mit dem Hintergedanken - wir können nicht zurück. Das Gelände wurde immer unwegsamer und irgendwann standen wir dann vor einer Felswand mitten im Wald. Resi Nervenzusammenbruch Nummer zwei … Nach einiger Überzeugungsarbeit liess sich Resi dann wieder motivieren und wir haben auf der Karte unseren Fehler erkannt. Dort sind wir dann ein paar hundert Meter zurück gelaufen und haben den kaum erkennbaren Pfad gefunden, der uns vermeintlich zu unserem Ziel führen sollte. Dieser Weg führte uns wieder abwärts, was in meinen Augen Sinn ergab und auf der Karte auch anhand der Höhenlinien zu erkennen war. Also alles gut? Leider nein, auch dieser Weg führte durch immer tieferes Gestrüpp und teilte sich dann sogar mehrfach. Aber ich war optimistisch, denn es ging ja bergab und wir würden wieder zurück ins Tal gelangen, um dort auf Zivilisation zu treffen — dachte ich. Nach einem anstrengendem von nur ein paar hundert Metern kamen wir dann an einem Bach. Der Bach befindet sich in einem sehr schmalen Tal auf deren einen Seite wir soeben abgestiegen waren. Die andere Seite ging genauso steil wieder nach oben. Leider war nach ein paar Metern entlang des Baches ein Wasserfall. Ohne Abseilausrüstung wären wir niemals da hinunter gekommen. Wir waren also in diesem Tal gefangen. Resi Nervenzusammenbruch Nummer drei … ( gut dass ich unterwegs nicht von dem Wildschwein und dem Fuchs erzählt habe…).
Aus dem engen Tal gab es nur einen Ausweg. Wir mussten wieder Aufsteigen. Laut Karte wussten wir, dass auf der anderen Seite irgendwo wieder ein Wanderweg auftauchen müsste. Allerdings sind wir zu dem Zeitpunkt nicht mehr sicher gewesen. Zum Glück konnte man Rudimente eines vielleicht ehemaligen Trampelpfades auf der anderen Seite des Baches ausmachen. Der Pfad musste doch irgendwie wieder auf einen richtigen Weg führen, oder? Also haben wir nochmal alle Kräfte mobilisiert und fingen den erneuten Aufstieg an. Es war wirklich nur ein Vermuten, wo der Weg verlaufen könnte. Immer wieder wurden wir von Bäumen extrem dichten Gestrüpp oder Abhängen gestoppt. Immer wieder war etwas zu erkennen, was vielleicht mal ein Weg hätte sein können, dann aber wieder im Nichts verschwand. Wir wussten nur eins, wir müssen über den Hügel, wie auch immer. Irgendwann haben wir es also aufgegeben einen Weg erkennen zu wollen und sind einfach geradewegs bergan durch das Dickicht gekrochen. Und das mit all unserem Sack und Pack, mit den Zecken an jedem Strauch und der Ungewissheit, ob wir irgendwo herauskommen würden. So sind wir etwa weitere drei Stunden durch den Wald geirrt. Hier gab es dann auch Resi´s Nervenzusammenbruch vier und fünf innerhalb von kurzen Abständen…
Ein Müsliriegel später mit den Optionen im Kopf irgendwo hier zu übernachten oder Helikopter zu benachrichtigen jauchzt Resi plötzlich auf. Ein Zeichen von Zivilisation. Ein roter Punkt an einem Baum etwas entfernt im Wald. Und tatsächlich beim Näherkommen erkennen wir einen Wanderweg. Einen richtigen Wanderweg mit Kennzeichnung. Resi vergiesst auch wieder ein paar Tränen - doch diesmal aus Erleichterung. Wir haben es geschafft.
Zurück auf dem Wanderweg sind wir dann an Warnschilder vorbeigekommen, auf denen zu erkennen ist, das wir uns in militärischem Sperrgebiet aufgehalten hatten, … Oh…
Das war echt ein Abenteuer, auch wenn wir die ganze Zeit nah an der Zivilisation waren haben wir uns doch ziemlich verloren gefühlt. Zum Glück hatten wir unseren Wasserfilter dabei und konnten regelmäßig für Trinkwassernachschub sorgen. Sonst wäre dieser Trip wirklich in die Hose gegangen. Etwa 10 Stunden hat uns dieser Ausflug gekostet. Mir ist die Zeit gar nicht so lang vorgekommen, wahrscheinlich, weil der Adrenalinspiegel deutlich höher war als normal. Von da aus sind wir dann noch in das nächste Dorf Rivera abgestiegen und haben uns ein Hotel gesucht, Zecken rausgezogen und ohne Zähneputzen völlig erschöpft ins Bett gefallen.
Am nächsten Tag stand dann die Entscheidung an, ob wir die Gondel Richtung Monte Tamaro nehmen oder nochmal aufsteigen. Wir haben uns dafür entschieden nochmal aufzusteigen. Diesmal haben wir dann die richtige Route gefunden und sind bei bestem Wetter und guten Wanderweg nochmal 2500 Meter aufgestiegen. Dabei wurden wir mit eine klasse Aussicht belohnt. Die Hälfte ging es hinauf bis Alpe Foppa. Dort angekommen war alles voller Leute, die die Gondel genommen hatten. Nach einem ausgedehnten Mittag ging es dann weiter zu unserm Tagesziel, der einzigen Hütte auf Monte Tamaro. Der Aufstieg war nochmal schweisstreibend bei extremer Hitze und kaum Sonnenschutz. An der Hütte angekommen, dann die Nachricht des Hüttenwarts: Sie hatten keinen Platz mehr frei und erwarteten diese Nacht noch eine grössere Gruppe. Doof! Campen? Nein doch nicht, die Gruppe hatte dann doch noch abgesagt, da es zu heiss für den Aufstieg war. Also hatten wir die Hütte ganz für uns allein. Dort oben gab es dann auch eine fantastische Aussicht auf die Alpenkette. So einen guten Blick hatten wir noch nie und wir konnten erstmal sehen, welche Ausmasse die Alpen eigentlich haben. Praktisch in Jede Richtung füllt sich dort oben der Horizont mit Schneebedeckten Bergmassiven. Das dann noch in roten Sonnenuntergang getaucht. Wahnsinn!!! Als wir dem Hüttenwart von unserer Wanderung am Vortag erzählten, hielt er - sich zum einen die Hände vor den Mund, zum anderen - uns für verrückt. Er erzählte uns, dass das ganze Gebiet nicht mehr für Wanderer sondern ausschliesslich für Militär und heimische Jäger begehbar ist.
Der nächste Tag führte uns dann entlang des Bergkamms vom Monte Tamaro zum Monte Lema. Dabei haben wir auch unsere versprochene Aussicht geniessen können. Li
nks Lago di Lugano und rechts der Lago Maggiore. Vom Monte Lema sind wir dann mit der Gondel nach unten gefahren und haben mal wieder etwas geschummelt,… ging ja nur bergab ;) Unser Tagesendziel war Agno am Lago di Lugano. Mit der Gondel unten angekommen hatten wir bereits wieder sechs Stunden in den Beinen und dachten es sei nicht mehr weit. Doch hatten wir dann nochmals zehn Kilometer vor uns und etwa 200 Höhenmeter kamen noch dazu. Das war alles ganz schön anstrengend und wir waren völlig am Ende, als wir am Abend Agno erreicht und unser Zelt endlich wieder aufgebaut hatten. Jetzt waren es nur noch zwei Etappen bis zum grossen Ziel nach Como.
Zu dem Zeitpunkt hatten wir nur noch ein Ziel vor Augen. So schnell wie möglich nach Italien. Wir entschieden uns diesmal nicht für den vorhandenen Wanderweg, denn wir hatten nicht wirklich Lust wieder ein paar tausend Höhenmeter hinter uns zu bringen. Anstattdessen folgten wir der Landstrasse in Richtung Como anfangs noch mit kleinem Fussweg später dann zwischen Felswänden auf der rechten Seite, Autos in der Mitte und Bahngleismauer auf der linken. Alles sehr eng und wir zwischendrin. Das war mindestens etwas waghalsig und mal wieder schweisstreibend.
Auf unserem letzten Campingplatz auf Schweizer Boden wurde unser Zelt bei nächtlichem Gewitter mit mächtigen Blitzen und heftigem Donnerschlag, Regen und Sturm nochmal richtig auf die Probe gestellt. Test bestanden! Und dann stand unsere letzte Etappe bis über die Grenze nach Como in Italien an.
Es ist der fünfte Juli und uns erreicht ein Gefühl von Freude, Erleichterung & Stolz, als wir die Grenze an diesem letzten nochmals anstrengenden Wandertag erreichen und die EU betreten. Zu diesem Zeitpunkt haben wir etwa 350 Kilometer und über ganze 10.000 Höhenmeter Aufstieg hinter uns gelassen. Das müssen wir erstmal sacken und den vergangen Monat Revue passieren lassen. Die Müdigkeit des letzten Monats steckt tief in den Knochen . Wir freuen uns nun auf Italien, unsere Besucher dort und auf all die Pizzas, Pasta, Eiscreme… Im nächsten Bericht erfahrt ihr von unseren Italieneindrücken, die Zeit der Familie und Freunden dort und den weiteren Plänen.
Danke fürs Lesen! Zur Belohnung gibt es ein paar Fotos in der Galerie.
Resi und Erik
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